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„Je länger wir schweigen, desto mehr Mut werden wir brauchen“

Dr. jur. Hendrik Cremer ist am Deutschen Institut für Menschenrechte tätig und arbeitet zu den Themen Rassismus und Rechtsextremismus. Er ist Autor zahlreicher wissenschaftlicher Publikationen und war schon häufig als Sachverständiger im Bundestag und in Landtagen geladen. Im Februar ist sein Buch „Je länger wir schweigen, desto mehr Mut werden wir brauchen. Wie gefährlich die AfD wirklich ist“ erschienen. Im Interview betont er, dass sich die Partei längst zu einer rechtsextremen Partei entwickelt habe.

Herr Cremer, nach einem neuesten Gerichtsurteil darf das Bundesamt für Verfassungsschutz die AfD als „Verdachtsfall“ einer rechtsextremistischen Bestrebung einstufen. Wie ordnen Sie das Urteil ein?
Hendrik Cremer: Das Urteil sollte niemanden überraschen. Die AfD hat sich längst zu einer rechtsextremistischen Bestrebung entwickelt. Das Bundesamt für Verfassungsschutz hängt mit seiner Einstufung der AfD als Verdachtsfall der Entwicklung der Partei deutlich hinterher. Die Einstufung der AfD nicht nur als Verdachtsfall, sondern darüber hinaus als erwiesen rechtsextremistische Bestrebung ist daher ein überfälliger Schritt. Er würde verdeutlichen, welche Gefahr von der AfD ausgeht: für die freiheitliche rechtstaatliche Demokratie und ein
gewaltfreies Zusammenleben in Deutschland.

Können Sie das noch genauer erläutern? Warum ist die Einstufung als erwiesen rechtsextremistische Bestrebung aus Ihrer Sicht bisher nicht erfolgt? Und warum ist eine solche Einstufung überfällig?
Cremer: Obwohl sich die AfD seit ihrer Gründung 2013 stetig radikalisiert hat, nahm das Bundesamt für Verfassungsschutz unter der Leitung von Hans Georg Maaßen über Jahre hinweg keinerlei Einstufung der Partei vor. Unmittelbar nach dem Wechsel an der Spitze des
Bundesamtes stufte das Amt unter Thomas Haldenwang die AfD als sogenannten Prüfffall ein. Im März 2021 erfolgte dann die Einstufung zum Verdachtsfall. Dies ist jedoch mehr als drei Jahre her. In dieser Zeit hat sich die Partei noch einmal deutlich erkennbar radikalisiert.
Sie zielt darauf ab, Menschenrechte, Rechtstaatlichkeit und Demokratie abzuschaffen. Die Partei verfolgt mittlerweile klar erkennbar einen Kurs, der eine Gewaltherrschaft anstrebt, mit Methoden und Zielen, die sich am Nationalsozialismus orientieren.


Wie kommen Sie zu einer solchen Bewertung der Partei?
Cremer: Die Radikalisierung der Partei lässt sich an der Position von Björn Höcke in der Partei gut nachzeichnen. Höcke ist mittlerweile die zentrale Führungsperson innerhalb der AfD, auch wenn er auf Bundesebene kein Amt innehat. 2017 gab es ein Parteiausschlussverfahren gegen ihn, in dessen Rahmen er dezidiert als Nationalsozialist eingeordnet wurde. Zum Parteiausschluss kam es trotzdem nicht. Heute ist er nicht nur weiterhin die zentrale Führungsfigur in Thüringen, sondern gibt den Kurs der gesamten Partei maßgeblich vor. Es gibt im Bundesvorstand der AfD niemanden mehr, der eine Opposition gegen ihn bildet. Im Gegenteil: Alice Weidel ist im April 2023 nach Erfurt gefahren, hat sich dort mit Höcke auf eine Bühne gestellt, für ihn Wahlkampf betrieben und damit deutlich gemacht: Der Bundesvorstand und Höcke liegen auf einer Linie.


In Ihrem Buch beschreiben sie ausführlich, dass die AfD das Ziel einer „homogenen Volksgemeinschaft“ verfolgt. Mit welchen Mitteln will die AfD ihre Vorstellungen umsetzen?
Cremer: Wie es insbesondere Höcke schon lange klargestellt hat, strebt die Partei Gewalt zur Durchsetzung ihrer national-völkischen Vorstellungen an. Schließlich ist das Ziel einer homogenen Volksgemeinschaft – in Anlehnung an nationalsozialistische Ideologie – auch nur mit brachialer Gewalt zu realisieren. Hierzu gehören Deportationen, die Millionen von Menschen treffen würden, auch deutsche Staatsangehörige. Politische Opposition würde beseitigt. Alldiejenigen, die an einer konsequenten Durchsetzung national-völkischer Ideologie nicht mitwirken würden, würden ausgeschaltet. Diesen anvisierten Kurs der Gewalt hat Höcke schon vielfach betont, beispielsweise in Äußerungen in einem Gesprächsband aus dem Jahr 2018.


Sollen Lehrerinnen, Journalistinnen, Politiker*innen die wirklichen Ziele der AfD, wie sie in ihrem Buch dargestellt werden, offensiv behandeln und benennen?
Cremer: Ja, unbedingt. Es ist allerhöchste Zeit, dass die AfD sachlich zutreffend eingeordnet und nicht ständig verharmlost wird, indem sie etwa als „rechtspopulistisch“ oder nur „in Teilen“ rechtsextrem bezeichnet wird. Die Aufklärungsarbeit über die AfD, an der sich alle Menschen im Alltag beteiligen können, ist von elementarer Bedeutung und musss intensiviert werden. Das Buch verfolgt das Anliegen, hier als Unterstützung zu dienen. Die Ausführungen in dem Buch sind umfassend belegt, damit sich alle vergewissern können, dass sie faktenbasiert sind.

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